Der nächste Crash als Chance?

Das folgende Interview mit Lino Zeddies vom Netzwerk Plurale Ökonomik erschien am 16. Januar 2020 auf dem Blog von agora42.

Lino Zeddies ist Initiator der Tagung „Der nächste Crash als Chance – Szenarien und Reformpotentiale“, welche am 7. Februar 2020 vom Netzwerk Plurale Ökonomik und zahlreichen Partnerorganisationen in Berlin ausgerichtet wird. Im Folgenden gibt er seine Antworten auf die Fragen der agora42 zur nächsten Finanzkrise und zur Tagung.
Er hat an der FU Berlin im Bachelor und Master VWL studiert und betätigt sich als Vollzeitaktivist für gesellschaftlichen Wandel als Pluraler Ökonom, Geldreformer, Organisationsberater und Heilpraktiker für Psychotherapie.

 

Herr Zeddies, Ihre Tagung am 07.02.2020 in Berlin will sich dem von vielen prognostizierten Crash nähern – allerdings den Crash nicht als Katastrophe verstanden, sondern als Chance. Wie kann der Crash eine Chance sein?

Jede Krise erzeugt Verunsicherungen, durch die das bisherige System und etablierte Glaubenssätze in Frage gestellt werden. Das schafft einen sehr fruchtbaren Nährboden für neue Ideen und Reformen, für die sonst der politische Wille fehlt. Im Idealfall kann der nächste Crash daher ein gesellschaftlicher Wendepunkt werden, um überfällige Reformen unseres Geld- und Finanzsystems anzugehen und es wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.
Damit diese Chance ergriffen wird, müssen wir uns allerdings gut auf die nächste Krise vorbereiten. Gegenwärtig ist die Debatte zum großen Teil darauf beschränkt, dass die einen sagen, eine ganz schlimme Krise wird demnächst kommen und die anderen sagen, das sei Quatsch. Aber es wird kaum darüber geredet, was genau beim nächsten Crash zu tun ist und wie wir uns vorbereiten können. Wenn das so bleibt und wir uns kollektiv wieder von der Krise überraschen lassen und die Regierung dann in kurzfristige, chaotische Krisenpolitik verfällt, dann ist die Chance verspielt. Benjamin Franklin hat einmal gesagt, „Wer versagt sich vorzubereiten, bereitet sein Versagen vor.“ Genau diesem Zustand soll die Tagung daher etwas entgegensetzen.

 

Kann es einen Crash ohne massive soziale Verwerfungen geben?

Ich halte eine Finanzkrise ohne massive gesellschaftliche Verwerfungen prinzipiell für möglich. Denn das eigentliche Fundament unseres Wohlstandes sind die Unternehmen, die Infrastruktur, das Wissen und die Natur und das ist auch bei einer Krise noch genauso da wie vorher. Das Finanzsystem organisiert „nur“ die Verteilung der Wertschöpfung und das gegenwärtig in vielen Fällen höchst ineffektiv. Wenn die Politik auf den Krisenmoment sehr gut vorbereitet wäre und einige radikale Schritte wagt, könnten Verwerfungen für die Bevölkerung daher prinzipiell klein gehalten werden. Im gegenwärtigen politischen Umfeld scheint dies jedoch leider sehr unwahrscheinlich und die Gefahr von massiven sozialen Verwerfungen ist hoch.

 

Welche Innovationen zeichnen sich ab, durch die der Crash zu einer Chance werden könnte?

Es gibt zahlreiche gute Ideen und Vorschläge für den Umbau des Finanzsystems: Das Trennbankensystem, deutlich höheres Eigenkapital für Banken, Großbanken zu zerschlagen, komplexe Finanzprodukte stärker zu regulieren, Steuerhinterziehung zu verhindern, ein Green New Deal, Komplementärwährungen, Reformen für den Euro, auf internationaler Ebene die Ablösung des Dollar durch eine neue Reservewährung wie Keynes es mit dem Bancor vorschlug, die Vollgeldreform, Umlaufsicherungen für Geld und viele mehr. Die meisten dieser Vorschläge sind gegenwärtig jedoch noch weit von einer Umsetzung entfernt. Auch die kürzlich beschlossene Finanztransaktionssteuer ist aufgrund ihrer Beschränkungen und Ausnahmeregelungen eine Farce. Eine wirkliche Innovation, die sich aber gegenwärtig abzeichnet, ist die Einführung digitalen Zentralbankgeldes für die allgemeine Bevölkerung. Bisher ist der Zugang dazu den Banken vorbethalten und je nach Ausgestaltung bietet das sogenannte „digital cash“ viele Chancen, das Finanz- und Geldsystem zu verbessern. Ansonsten bewirken die in Deutschland bereits bestehenden ethischen Banken sehr viel Positives und haben großes Ausbaupotenzial.

 

Angesichts des Tempos, mit dem die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und der Klimawandel fortschreiten, wäre weiteres Wirtschaftswachstum katastrophal. Ohne Wachstum aber kollabiert die Wirtschaft. Haben wir nicht längst nur noch die Wahl zwischen Wirtschaftscrash und Umweltcrash (der letztlich dann auch die Wirtschaft crashen lassen würde)? Bleibt uns also – wie unser Chefredakteur Frank Augustin in der neuen Ausgabe schreibt – gar nichts anderes übrig, als nach dem Motto „Design the Disaster“ zu handeln?

Ich fürchte, im gegenwärtigen Systemrahmen stehen wir genau vor dieser tragischen Wahl. Das Finanz- und Geldsystem erzeugt Verwertungsdruck, Ausbeutung, Ungleichheit und meiner Ansicht nach auch einen Wachstumszwang. Genau deshalb müssen wir unbedingt den Systemrahmen so verändern, dass eine stabile und florierende Wirtschaft auch ohne Wachstum möglich ist. Es gibt zahlreiche Ideen wie das gelingen kann. Gegenwärtig erfahren diese jedoch zu wenig Aufmerksamkeit und werden in der Regel als zu radikal (radicus, griech. = Wurzel) abgetan. Genau das ist der Knackpunkt, denn solange der politische Wille nicht da ist, an dieser Problemwurzel unserer Wirtschaftsordnung anzusetzen, dann bleibt wohl nur die Wahl zwischen Wirtschaftscrash und Umweltcrash.

 

Zahlreiche Krisenszenarien und Zusammenbruchprognosen liegen vor. Sie finden sich auf den Bestsellerlisten. Doch „Crash“ bedeutete bislang immer, dass es danach wieder „aufwärts“ geht, dass also das Wirtschaftswachstum wieder anzieht. Gibt es Ihrer Ansicht nach auch die Bereitschaft fürs grundsätzlich Neue, für den Schritt raus aus den bekannten Wirtschaftsformen, Konsumgewohnheiten und Selbstbildern?

In Teilen der Gesellschaft auf jeden Fall. Ich erlebe sehr viele Menschen die nicht nur Bereitschaft, sondern Sehnsucht nach Veränderung in sich tragen. Die entsprechenden Bewegungen gewinnen gegenwärtig massiv an Zulauf.
Angesichts der drohenden Klimakrise und erschöpften Ressourcen können wir nicht immer weitermachen wie bisher. Es kommen daher große Veränderungen auf uns zu, ob wir wollen oder nicht. Irgendwer hat einmal gesagt, wir haben die Wahl zwischen change by design oder change by disaster. Großen Teilen der Gesellschaft fehlt es jedoch an Vorstellung und Wissen über die zahlreichen alternativen Wirtschaftsformen, da braucht es unbedingt mehr Aufklärung um mehr Offenheit für Veränderungen zu erzeugen. Mit der Tagung hoffen wir auch, zum change by design beizutragen, bevor es zum change by disaster kommt.

 

Wie lässt sich verhindern, dass rechtsextremistische politische Strömungen den Crash als ihre Chance nutzen?

Die Verwerfungen der großen Depression von 1929 haben den gesellschaftlichen Nährboden für den Aufstieg der Nazis geschaffen. In gleicher Weise halte ich es für eine große Gefahr, dass ein nächster Crash zu einem weiteren Erstarken demokratiefeindlicher und rechtsextremistischer Strömungen führt, wie es seit der letzten Finanzkrise überall in Europa bereits zu beobachten ist. Daher halte ich es für es extrem wichtig, die gesellschaftlichen Verwerfungen einer nächsten Krise zu minimieren, zu verhindern, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen untergraben wird und dafür zu sorgen, dass keine Menschen abgehängt werden.
Die Sympathie für entsprechende Strömungen hat ihre Ursache oft in einem tiefen Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe. Wer sich als wertvollen Teil der Gesellschaft wahrnimmt, effektive politische Mitbestimmung erfährt und erfüllende Kontakte mit seinen Mitmenschen erlebt, ist wohl eher schwer für die AfD zu begeistern. Wir müssen als Gesellschaft daher dafür sorgen, dass es gerade den Schwächsten gut geht. Insbesondere bei einer nächsten Finanzkrise dürfen also auf keinen Fall wieder die Großbanken auf Kosten der übrigen Gesellschaft gerettet werden und das Gefühl bei weiten Teilen der Bevölkerung aufkommen, von der Politik abgehängt zu sein. Sehr wichtig finde ich in diesem Zusammenhang daher eine vertiefte Demokratisierung unserer Gesellschaft. Die Tagung soll deshalb auch einen breiteren gesellschaftlichen Dialog über die optimale Gestaltung des Geld- und Finanzsystems anregen und möglichst viele Menschen dabei miteinbeziehen.

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